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Das Ermittlungsverfahren

„Ich brauche mal ihre Hilfe“ sagte die wohlhabende Dame mit den gefärbten Haaren zu mir, während sie, mit ihrer Gehilfe und einer Glühbirne, vor einer unvollständig beleuchteten Schrankwand aus massiver Eiche, stand.

Helga genoss meine Anwesenheit, die stets mit der Erledigung einiger Aufgaben verbunden war. Die Küchenmesser waren nicht mehr scharf, die Haustüre klemmte, die Blumen mussten gegossen werden. Im laufe der Jahre hatte sie eine geheime Strategie entwickelt. Es waren professionelle Methoden, um ganz bestimmte Mechanismen bei einigen Leuten auszulösen, die dazu führten, dass diese Arbeiten für sie erledigten. Es funktionierte nicht bei allen Menschen allerdings besaß Helga hochsensible Antennen, um herauszufinden, welcher Typ für ihre besondere Magie geeignet ist und zu welchem Zeitpunkt sie welche Knöpfe auslösen sollte. Sie war eine Meisterin ihrer Klasse und fand sehr schnell heraus, wie sie einige Leute dazu brachte, Aufgaben für sie zu erledigen.

Sie war die Königin und es dauerte nicht lange bis ich zu einem Netzwerk fleißiger Ameisen gehörte. Meine Neigung hilflosen Menschen etwas Gutes zu tun, weitete ich nach und nach für sie zu einem Rundum-Service aus. Wochenlang reparierte und installierte ich etwas rund um ihr Haus und sie war sehr zufrieden mit mir. Helgas Keller war ein Labyrinth unergründlicher Sammlungen kaputter Dinge und Müll. Sie kramte in ihrer unterirdischen Müllhalde und brachte unermüdlich Gegenstände in einer Plastiktüte ans Tageslicht, die sie dann vor mir ausschüttete.

„Hier, sie haben doch goldene Hände, reparieren sie das doch mal.“

Helga hasste ihren Nachbarn, der allerdings zu ihren Arbeiterameisen gehörte. Er war der Fahrer, der seit vielen Jahren immer mittwochs pünktlich um 14 Uhr, mit laufendem Motor vor ihrer Türe stand und ihr ins Auto half. Einmal in der Woche brachte der Chauffeur sie zum Kaffeekränzchen, wo sie sich mit ihren beiden Schwestern traf, die sie auch nicht mochte. Nach exakt zwei Stunden durfte Herbert sie wieder nachhause bringen und wie selbstverständlich hakte sie sich in seinem Arm ein und er hielt wie Casanova alle Türen für sie auf. Als ich mich das erste Mal mit Herbert unterhielt, erklärte er mir wie sehr er die Königin samt Schwestern verabscheut.

Helga sprach unglaublich schlecht über ihre Arbeiter-Ameisen und erst recht über Handwerker, die Geld für ihre Arbeit haben wollten. Sie verbesserte ihre Strategie, um mich auf ein Podest zu heben. Von nun an sprach sie besonders schlecht über alle anderen Menschen und lobte mich regelmäßig für meine kostenlose Arbeit.

Sie hatte sich für mich eine besondere Geste ausgedacht.

„Hier, ich habe etwas für sie“

Sie hielt einen verknitterten Papierbeutel hoch, der augenscheinlich einen faustgroßen Inhalt trug. Hatte die wohlhabende Dame einen Schatz aus ihrem Keller gekramt? Ein großer Bündel Geldscheine in einer Papiertüte versteckt? Ich hatte niemals Geld verlangt und es auch nicht erwartet, aber sie machte die Zeremonie so spannend, dass mir fast der Atem stehen blieb. Es war tatsächlich ein Geschenk für mich.

„Nun, machen sie es schon auf“ forderte sie mich auf, während sie mir die Tüte entgegenstreckte.

Ich staunte nicht schlecht: „Zwei Tomaten, das ist aber nett von ihnen.“

„Ja, halten sie sich gut mit mir, dann werden sie noch mehr davon bekommen!“

Während sie mich mit den beiden Tomaten bei Laune hielt, telefonierten die beiden Schwestern mit einigen Zeitungsverlagen, vorrangig Düsseldorfer Ausgaben. Obwohl die Familiensippe sich untereinander nicht mag, hatten sie einen gemeinsamen Pakt geschlossen. Sie wollten unter allen Umständen verhindern, dass ein von mir gemaltes Gemälde in die Zeitung kommt und darüber berichtet wird. Ein großformatiges Bild, welches ein Liebesakt darstellt, könnte mit mir als Künstler, dem Familienclan und der Kirche in Verbindung gebracht werden.

„Wenn das rauskommt, bin ich geliefert. Was sollen die Leute aus dem Kirchenchor oder die Nachbarn sagen? “

Seit Wochen, steht sie mittags nicht mehr an ihrem Herd, denn durch ihre neue Aufgabe bleibt ihr nur wenig Zeit für regelmäßige Mahlzeiten. In der Mittagszeit macht sie ohnehin ihre Rundgänge um anschließend auf ihrem Beobachtungsposten mit einem Stückchen Kuchen zu verweilen und wichtige Telefonate zu führen. Sie hat gemeinsam mit ihren beiden Schwestern ein Ermittlungsteam gegründet und hat brandneue Informationen über mein Leben gesammelt, denn sie hat mit mir persönlich gesprochen. Das Ermittlungsverfahren gegen mich wurde aus gutem Grund eingeleitet, denn ich hatte „Damenbesuch“.

Ja, es ist abscheulich, aber ich kann alles erklären und genau das ist ein guter Grund, dass Helga mein Atelier aufsuchte. Sie wollte mir ein Geständnis entlocken, doch ihre suggestive Verhörtechnik war schnell zu durchschauen. Das brisante Ergebnis jedoch, hatte für sie den Zweck erfüllt.

„Sie arbeiten ja nicht mehr!“

Ich wunderte mich über diese Feststellung und fragte, wie sie denn darauf kommen würde.

„Ich sehe sie ja nicht mehr in ihrem Atelier. Sie haben ihre Arbeit aufgegeben und leben jetzt von Luft und Liebe.“

Ich erklärte ihr, dass sie mich an manchen Tagen gar nicht beobachten könnte, da ich einen Teil meiner Arbeitszeit in meinem Büro verbringe und bot ihr damit genügend Momente der Verstörung.

„Ach, was soll der Quatsch denn? Woran sollten sie denn tagelang in einem Büro arbeiten?

Sie war nicht davon zu überzeugen, dass ich als Künstler und Fotograf an einem Computer in meinem Büro arbeiten könnte. Meine „Falschaussage“ wurde weiter hinterleuchtet.

„Sie stehen morgens auch sehr spät auf, denn ich sehe erst ab 10:00 Uhr Licht bei ihnen. Wie machen sie das denn jetzt, wenn sie nur von Luft und Liebe leben? Es ist schon komisch, dass jetzt eine Mitmieterin bei ihnen eingezogen ist und sie uns diese nicht einmal vorgestellt haben. Sie haben offensichtlich jetzt keine Zeit mehr für mich…“

Erklärte sie mit einem vorwurfsvollen Lächeln und fügte hinzu:

„Mein Küchenregal ist kaputt, ein Heizkörper funktioniert nicht und mein Sessellift quietscht. Wann können sie da mal nachschauen? Es muss nicht sofort sein, denn ich telefoniere erstmal eine halbe Stunde mit meinen Schwestern. Es reicht, wenn sie in einer Stunde da sind.“

Ihr Entschluss stand fest. Ich schlafe bis mittags, arbeite nicht mehr, kann meine Miete nicht mehr bezahlen und… Ich habe eine Mitmieterin bei mir einziehen lassen.

„Woher kommt denn die junge Dame?“

Sie war sichtlich erleichtert, als sie hörte, dass die junge Dame aus der unmittelbaren Nachbarstadt kommt und auch dort wohnt.

„Das ist ja wunderbar, dann können sie die ja ganz schnell wieder nach Hause schicken. Glauben sie mir, das bringt nur Ärger, wenn sie es nicht tun.
Ich gehe jetzt mal wieder nach Hause denn ich muss kacken. Wann wollten sie noch gleich vorbeikommen, um meinen Gartenzaun zu reparieren?“

„Momentan muss ich viel arbeiten und habe leider etwas wenig Zeit“, versuchte ich zu erklären.

„Ach, sie Dollmann, was soll das denn jetzt wieder? Sie brauchen doch sowieso nur ein Bild malen und dann haben sie das ganze Jahr ausgesorgt.“

Ich habe mir die Frage gestellt, so wie es wahrscheinlich jeder intelligente Mensch machen würde, ob es überhaupt einen Sinn macht, sich mit langfristig unzufriedenen Menschen zu umgeben und ob man denen überhaupt helfen kann.

Gott sei Dank wohnt keine der drei Jungfrauen in meiner Nachbarschaft, daher bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass alles so bleiben sollte, wie es ist, denn sie liefern mir unglaublich viel Stoff für meine kreative Arbeit. Sie sind eine wahre Schatzkammer der Inspiration. Ich bin also dankbar und glücklich über die vielen verschiedenen Facetten, die in uns Menschen stecken und freue mich immer wieder auf spannende Begegnungen.

Das Ermittlungsverfahren ist jedenfalls noch nicht abgeschlossen und ich werde weiterhin alles Menschenmögliche dazu beitragen, damit die Wahrheit ans Tageslicht kommt.

Ist es nun der Nachbar, der anderen Leuten heimlich ein Zettel an die Windschutzscheibe klebt, weil er ein bestimmtes Auto nicht vor seiner Türe sehen möchte, oder der Pastor, der niemals grüßt, wenn man ihm begegnet? Oder ist es der Künstler, der macht was er will und ständig so große und teilweise verstörende Bilder malt oder „nackte Weiber“ fotografiert? Wer ist denn nun verrückt und wer kennt die Wahrheit?

Eines haben wir alle gemeinsam, denn wir kennen alle die Wahrheit. Es ist unsere Eigene.

Herzliche Grüße aus einer kleinen und wunderschönen Stadt

MAPAWLO